Der wahre Ali

Die FPÖ setzt Österreicher mit türkischer Abstammung durch eigenproduzierte Online-Videos und stereotype Darstellungen wie den „E-Card-Betrüger“ Ali unter Druck. Die „wilde“ Nationralratsbgeordnete Martha Bißmann versucht den Spieß umzudrehen und Ali in ein positives Licht zu rücken.

Mit schurkenhaftem Lachen und einer traditionellen türkischen Kopfbedeckung betritt Ali die Zahnarztpraxis. So beginnt der Werbespot, der am 13. November des vergangenen Jahres für kurze Zeit durch das Internet kursierte. Im Video sieht man einen Mann, der versucht, mit der E-Card eines Verwandten die Arztrechnung zu bezahlen. Deswegen soll ab dem 1. Jänner 2020 bis auf gewisse Ausnahmen auf allen E-Cards ein Foto des Inhabers abgebildet sein. Produziert wurde der Werbeclip von der Freiheitlichen Partei Österreich (FPÖ), veröffentlicht auf „FPÖ TV“, dem offiziellen YouTube-Kanal der Freiheitlichen. Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) kommt im Video ebenfalls vor. Es ist nicht das erste Mal, dass die FPÖ die Ali-Figur für Werbezwecke verwendet.

Bereits 2014 hat der oberösterreichische FPÖ-Chef Manfred Haimbuchner im Internet ein ähnliches Video veröffentlicht. Hierbei ging es um den Vorwurf der Doppelstaatsbürgerschaft. Der Hauptprotagonist dieses Werbespots: Der „böse“ Ali. Dabei ist Doppelstaatsbürgerschaft auch derzeit ein viel diskutiertes Thema. Im Dezember hat der Verfassungsgerichtshof klargestellt, dass eine von der FPÖ eingereichte Liste mit angeblich unter Verdacht stehenden türkisch-österreichischen Doppelstaatsbürgern kein taugliches Beweismittel sei. Alle dazugehörenden Verfahren wurden eingestellt.

Wir wollten das Bild von Ali überschreiben.

Martha Bißmann hat genug von rassistischen Vorverurteilungen auf Kosten von Ali. Die nach wochenlangen Streitereien mit Peter Pilz seit Juli 2018 parteilose Nationalratsabgeordnete bekam für ihre Parlamentsrede über einen türkischen Gastarbeiter großen Zuspruch. Auf Facebook erreichte das Video von der Rede mehr als 200.000 Menschen. Im Gespräch mit allah.wien erzählt Bißmann, wie es zu der sogenannten Ali-Aktion kam und wer ihr dabei geholfen hat.

allah.wien: Frau Bißmann, wer ist Ali?
Martha Bißmann:
Ich habe die Geschichte eines Gastarbeiters nacherzählt, der 1964 nach Österreich kam. Mit schwerer Arbeit ruinierte er seine Gesundheit. Seinen Kindern konnte er hier aber eine Existenz sichern und Chancen für die Staatsbürgerschaft bescheren.

Martha Bißmann bei ihrer Ali-Rede im Nationalrat vor den Augen von Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache.
Martha Bißmann (rechts) bei ihrer Ali-Rede im Nationalrat. Daneben Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache. [© Martha Bißmann]

Wen soll dieser Gastarbeiter repräsentieren?
Er steht stellvertretend für die 100.000 österreichischen Staatsbürger mit türkischen Wurzeln, die auf dieser ominösen Liste stehen. Es handelt sich dabei um eine Wählerevidenzliste, die jemand ausgegraben und der FPÖ anonym zugespielt hat. Die Liste hat jetzt schon 85 österreichischen Staatsbürgern mit türkischer Abstammung die Staatsbürgerschaft gekostet. Das habe ich nacherzählt, mit einem Schwenk zum E-Card-Video der FPÖ.

Haben Sie dazu auch mit Österreichern mit türkischem Migrationshintergrund gesprochen?
Das habe ich. Was mir viele Menschen aus der dritten und vierten Gastarbeitergeneration erzählen: Es war für lange Zeit gut im Land. Sie haben sich als Österreicher gefühlt und trotz ihrer türkischen Namen waren sie voll integriert. Doch seit Schwarz-Blau und solchen Aktionen wie dem E-Card-Video spüren sie wieder Rassismus und schlechte Stimmung. Das muss man abdrehen, denn so etwas ist absolut bedrohlich für den Zusammenhalt in der Gesellschaft.

Martha Bißmann und Ali zu Gast bei Fellner! Live, einer Diskussionssendung auf oe24.tv.
Martha Bißmann und Ali zu Gast bei Fellner! Live, einer Diskussionssendung auf oe24.tv. [© Martha Bißmann]

Und warum die Puppe?
Wir wollten das Bild von Ali überschreiben. Der Ali in dem E-Card-Video wurde als stereotyper Gauner, Betrüger und Sozialschmarotzer stilisiert. Mit der wahren Geschichte des Gastarbeiters habe ich ihn im positiven Licht dargestellt.

Haben Sie diese Rede alleine geplant oder haben Sie das zuvor mit jemandem besprochen?
Das war Teamwork. Die Idee an sich kam gar nicht von mir, sondern wurde mir von Muhammad Yüksek vorschgeschlagen. Er ist ein türkischstämmiger Österreicher aus Wien, der politisch sehr engagiert ist. Muhammed organisiert Demonstrationen und hat eine sehr starke Social-Media-Präsenz. Gemeinsam haben wir die Aktion ausgearbeitet. Und weil er mit vielen Betroffenen aus der türkisch-österreichischen Community in Kontakt ist, war die Rede auch so authentisch und hat die Menschen berührt.

Ibrahim Koc überreichte Martha Bißmann  nach ihrer Ali-Rede als Dankeschön im Namen der türkisch-österreichischen Minderheit einen Blumenstrauß.
Ibrahim Koc überreichte Martha Bißmann nach ihrer Ali-Rede als Dankeschön im Namen der türkisch-österreichischen Minderheit einen Blumenstrauß. [© Martha Bißmann]

Wie ist die Ali-Aktion bei der Bevölkerung angekommen?
Ich war überwältigt, wie die Rede eingeschlagen hat. Es gibt ja über 200.000 Österreicher mit türkischem Hintergrund. Das muss man sich immer wieder vergegenwärtigen.


Anmerkung des Autors: Das Interview mit Martha Bißmann wurde am 18. Dezember 2018 geführt, also vor der Bekanntgabe des Verfassungsgerichtshofs, dass die Wählerevidenzliste der FPÖ ein untaugliches Beweismittel ist.