Zweite Chance für den Dschihadisten

Im Februar 2017 wurde ein Syrien-Heimkehrer wegen Beteiligung an einer terroristischen Organisation verurteilt. Nach Absitzen seiner Haftstrafe wurde der Tschetschene nahtlos in Schubhaft überstellt. Jetzt soll er nach Russland abgeschoben werden.

Die Insassen mit Nachnamen von A-K dürfen heute in der Zeit von 16.00 bis 17.30 Uhr mit Besuchern reden. Es ist Dienstag und Besuchertag im Polizeianhaltezentrum in Hernals. Elina D. (27, Name geändert) reist nicht zum ersten Mal aus Linz an, um ihren Mann Ruslan D. (27, Name geändert) zu sehen. Die Tschetschenin trägt ihr blondes Haar hochgesteckt. Das Make-Up hat die gelernte Bürokauffrau so gewählt, dass es farblich zur Kleidung passt. Sie gehört nicht zu den Musliminnen, die ein Kopftuch tragen.

Ruslan D. wurde 2017 in Feldkirch wegen Beteiligung an einer terroristischen Organisation verurteilt. Die Justiz stufte den 27-Jährigen als gefährlich ein. Gleich nach Absitzen der Strafe wurde der Tschetschene nach Wien gebracht und in Schubhaft genommen. Er soll nach Moskau ausgewiesen werden.

Ein Dutzend Menschen stehen vor der Besucherzone Schlange. Zwei Polizisten kontrollieren die Ausweise und öffnen eine Sicherheitstür. Nur langsam kommt die Warteschlange voran. Plötzlich kommt es zu einer Diskussion zwischen einer Afrikanerin und einem der Polizisten. Die Besucherin hat weder Reisepass noch Führerschein dabei. Andere Ausweise lässt die Exekutive nicht gelten. Sie fragt, ob sie eine Tasche mit Sachen für ihren Mann dalassen darf. Der Polizist verneint. Die Afrikanerin versucht, den Beamten zu überreden. Eine Diskussion entfacht. Elina blickt auf die Uhr, kostbare Besuchszeit verstreicht.

Endlich wird sie aufgerufen. Sie zeigt ihren Konventionspass vor. Es gibt einige Fragen zum Verhältnis mit dem Gefangenen. Dann öffnet sich die Sicherheitstüre.

Im Polizeianhaltezentrum in Hernals (c) privat

Null-Toleranz-Politik

Die Politik ist im Umgang mit sogenannten „Foreign Fighters“ härter geworden. Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig will einem türkischstämmigen IS-Kämpfer und Doppelstaatsbürger, der nach Österreich zurückkehren will, die Staatsbürgerschaft entziehen. Gleichzeitig wurde diese Woche der Konsularschutz verschärft. Innenminister Herbert Kickl verkündete, dass Österreichern, die sich im Ausland Terrororganisationen anschließen, jegliche konsularische Unterstützung, wie etwa die Rückführung nach Österreich, verlieren. Es stehen sogar Überlegungen im Raum, die Kinder von IS-Frauen zurückzunehmen, die Mütter aber nicht. In dieser Situation findet sich auch Ruslan D. wieder. Sein Asylstatus wurde aberkannt.

Brief aus der Schubhaft

Ruslan D. war 2013 Teil der Freien Syrischen Armee, einer Militärallianz von Assad-Gegnern, die sich später fragmentierte. D. schloss sich damals der Miliz „Dschunud al-Sham“ an. „Diese Untergruppe hat sich später radikalisiert. Zudem begannen sich die Gegner von Assad unter einander zu bekämpfen“, sagt Ruslan D. Im Jahr 2014 kehrte D. desillusioniert aus dem Krieg zurück. In dieser Zeit war es noch möglich über die Grenzen zu kommen. Ruslan D. stellte sich freiwillig bei der Polizei in Österreich, die über ein Jahr untätig blieb. Als die ersten Terroranschläge auf europäischem Boden verübt wurden, wurde ein Haftbefehl erlassen und Ruslan D. festgenommen. In Vorarlbergs erstem Terror-Prozess fasste er eine unbedingte Haftstrafe von zweieinhalb Jahren aus. Jetzt sitzt er in Wien-Hernals in Schubhaft.

In einem Brief aus dem Gefängnis beschreibt er seinen Wandel folgendermaßen:

„Ich war dort und habe schlimme Sachen gesehen. Bald wurde mir klar, dass die Kämpfer für eigene Zwecke und Ziele verwendet werden. Wir waren nur Marionetten […]. Niemals wollte ich dafür mein Leben geben. […] Als ich am 6. März 2014 zurückkam, ging ich freiwillig zur Polizei und tätigte meine Aussage beim Verfassungsschutz. […]. Nach der Rückkehr aus Syrien war ich eineinhalb Jahre auf freien Fuß. In dieser Zeit bin ich nicht gefährlich oder terroristisch aufgefallen. Im Gegenteil, ich habe meine Erfahrungen weitergegeben und so junge Männer, die in den Krieg ziehen wollten, davon abgeraten. Ich habe mich von den einschlägigen Gruppierungen distanziert und Sympathisanten ins Gewissen geredet. Bei meinem eigenen Bruder schaffte ich das leider nicht. Nach meiner Inhaftierung habe ich den Einfluss auf ihn verloren. Er zog in den Irak und kam dort ums Leben.“

Der 27-Jährige bittet um eine zweite Chance:

„[…] Ich habe meine gerechte Strafe erhalten und sie auch zur Gänze verbüßt. […] Durch mich besteht keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit […]. Österreich ist meine zweite Heimat. Ich danke dem Land sehr viel. Es hat mir Frieden, Bildung und Chancen gegeben – zugegeben werden einem diese Werte erst beim Verlust so richtig bewusst. Nun will ich Teil einer Gesellschaft sein, die sich entradikalisiert, die für ein Miteinander, gemeinsame Werte und ein friedliches Zusammenleben steht. Eine wie auch immer geartete Gefahr für Österreich würde auch eine Gefahr für meine eigene Familie und meine Freunde bedeuten. Nichts liegt mir ferner, als die hier vorgefundenen Lebensverhältnisse und Kultur zu zerstören. […] ich will kein Kalifat oder die Scharia, im Gegenteil, mit liegt sehr viel an den Werten von  Demokratie, Rechtsstaat, Frauenrechten, Gleichheit und Freiheit. […].“

Mit diesem Schreiben versuchen Ruslan und Elina D. davon zu überzeugen, dass Ruslan D. keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellt. Die Mischung aus Dokumentenbeschaffung, Terminen bei den Behörden und Anwälten, ließ Elina D. ihre Arbeit in einem Nagelstudio hinschmeißen. Mit ihrer Anwältin Astrid Wagner, will sie die Behörden auch davon überzeugen, dass Russland kein sicheres Land für Rückführungen ist.

Der Fall Magomed Z.

Wagner konstatiert: „Das Leben meines Mandanten ist ernsthaft in Gefahr, weil in Russland keine rechtsstaatlichen Gesetze herrschen. Von einem anderen Fall weiß ich, dass ein bereits in Österreich verurteilter Tschetschene nach Russland abgeschoben wurde. Dort kam er noch einmal vor ein Gericht und wurde nach einer erneuten Verurteilung in ein russisches Foltergefängnis eingeliefert.“

Die Rede ist von Österreichs „erstem Dschihadisten“, Magomed Z., der sich laut Gericht in Syrien der islamistisch-salafistischen „Ansar al-Sham“ anschloss und 2015 im Landesgericht Krems zu vier Jahren Haft verurteilt wurde. Nach Absitzen seiner Haftstrafe kam er im September 2018 in Schubhaft und wurde im November 2018 nach Russland abgeschoben. Ein Gericht in der tschetschenischen Stadt Grozny verurteilte Magomed Z. zu weiteren 15 Jahren Haft. Derzeit befindet sich Magomed Z. in einem Gefängnis im tschetschenischen Gudermes. Die Verurteilung erfolgte „wegen der Schädigung von Russlands Ansehen im Ausland“, wie es auf Nachfrage bei Z.s Anwalt Wolfgang Blaschitz heißt. „Aus meiner Sicht stellt das eine reine Umgehung des Doppelbestrafungsverbotes dar “, so Blaschitz.