Die religiöse Zusammensetzung der österreichischen Bevölkerung wurde seit 2001 nicht mehr erhoben. Die Suche nach neuen Zahlen und was sie bedeuten.
Eine Volkszählung vor 18 Jahren ist die letzte Erhebung des religiösen Bekenntnisses in Österreich. Die Registerzählung ersetzte die teure Vollerhebung der Haushalte. Offizielle Zahlen der religiösen Verteilung gibt es deshalb nur für den Zeitraum 1951 bis 2001.
Wir glauben an Gott
Man könnte meinen, der Stellenwert der Religion hat über die Jahrzehnte abgenommen. Die Europäische Wertestudie 2018 kommt zu anderen Ergebnissen: Zwei Drittel der Befragten bezeichnen sich als religiöse Menschen. Drei Viertel glauben an Gott. Die Theologin Regina Polak von der Universität Wien sagt, dass der Glaube an Gott konstant hoch bleibt, das persönliche Gebet und der Gottesdienstbesuch aber zurückgehen. „Die Ösis sind religiös – aber was sie darunter verstehen, ist sehr plural und muss man im Einzelfall genau anschauen,“ sagt Polak.
Manche Religionsgemeinschaften geben Auskunft
Auch die anerkannten Religionsgemeinschaften kennen die Zahl ihrer Mitglieder nicht. Durch das Einheben von Kirchbeiträgen weiß die Katholische Kirche, dass es 2017 rund fünf Millionen Katholiken gab. Dass die Mitglieder sich der Kirche zugehörig fühlen, bedeutet das nicht.
Verpflichtende Kirchenbeiträge sind die Ausnahme. Die Orthodoxe Kirche stützt ihre Schätzung auf die Zahlen der Volkszählung 2001. Eine halbe Million Orthodoxe Christen sollen es sein. Priester Athanasius Buk will sich aber nicht festlegen: „Für die Zahl 500.000 gibt es eigentlich keine Quelle im wissenschaftlichen Sinn. Es mag durchaus sein, dass es deutlich mehr oder weniger Orthodoxe Christen in Österreich gibt.“
Die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) schätzt, dass ihren Gemeinden österreichweit rund 8.000 Personen angehören. Zum jüdischen Glauben bekennen sich aber womöglich mehr. IKG-Generalsekretär Raimund Fastenbauer schätzt, dass allein in Wien 12.000 Jüdinnen und Juden leben.
Die Islamische Glaubensgemeinschaft macht auf mehrmalige Nachfrage keine Angaben zu ihren Mitgliedern. Eine andere islamische Religionsgemeinschaft, die Alevitische Glaubensgemeinschaft, schätzt ihre Mitglieder auf 80.000. Die Zahl ergibt sich aus dem Anteil von Alevitinnen und Aleviten in der Türkei und der Zahl türkischstämmiger Menschen in Österreich, erklärt die Bundessekretärin Yeliz Yildirim. Diese Art der Schätzung kommt der wissenschaftlichen Vorgehensweise sehr nahe.
Auch wissenschaftliche Berechnungen brauchen Annahmen
Für eine umfassende wissenschaftliche Analyse bedarf es noch Daten zu Mortalität, Konvertiten und Fertilitätsraten. Die Demografin Anne Goujon vom Institut für Demographie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften hat diese Zahlen mit Migrationszahlen und religiöser Zusammensetzung der Herkunftsländer kombiniert. Das Ergebnis ist die religiöse Zusammensetzung der österreichischen Bevölkerung für das Jahr 2016.
Natürlich gibt es immer Abweichungen von der Realität. Beim religiösen Wandel durch Zuwanderung ist sich Goujon aber sicher, dass sich Fehlannahmen ausgleichen. Abweichungen bestehen auch bei historisch gewachsenen Religionen in Österreich. Auffällig sind Unterschiede zwischen den Zahlen der Katholischen Kirche und ihrer vom Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) finanzierten Studie. Goujon hat eine Erklärung: „Zahlende Mitglieder fühlen sich nicht automatisch spirituell mit der Kirche verbunden.“
Eine Entwicklung hin zu mehr Säkularisierung, die seit den 1970er Jahren konstant hoch ist, sieht Goujon nicht. Für das Jahr 2016 berechnet sie 17 Prozent der Bevölkerung, die sich keiner Religion zugehörig fühlen.
Die Demografin liefert nicht nur eine Momentaufnahme, sondern stellt auch Prognosen an. Für den ÖIF waren vor allem verschiedene Migrationsszenarien interessant. Die vier Modelle unterscheiden sich nach Zuwanderungsraten und Herkunftsländern. In allen Szenarien geht der Anteil römisch-katholischer Glaubensangehöriger zwar zurück, sie bleiben aber die größte Gruppe. „Zukünftig werden Migration und Fertilitätsraten die religiöse Landschaft in Österreich prägen“, sagt Goujon.
Die religiöse Zukunft planen
Wieso müssen wir diese Verteilung kennen? Religion ist schließlich Privatsache, die nur jede einzelne Person betrifft. Außerdem verhält es sich mit Religion nicht wie mit anderen demografischen Berechnungen, bei denen die Geburtenrate im Auge behalten werden muss, um genug Kinderbetreuungsplätze einzuplanen. Ganz stimmt das nicht. Es ist wichtig, die religiöse Zusammensetzung der Bevölkerung zu kennen, betont Goujon und nennt zwei Gründe.
Die Berechnungen deuten auf eine Entwicklung hin, mit der sich die Bevölkerung auseinandersetzen muss: Das katholische Österreich wird an Einfluss verlieren und die religiöse Diversität zunehmen. Im Sinne des sozialen Zusammenhalts müsse diese Entwicklung adressiert und vorbereitet werden. Etwa mit mehr Religionsunterricht für muslimische Kinder oder dem Bau von Gotteshäusern.
In Zeiten von „Fake News“ sei es außerdem wichtig, über wissenschaftlich berechnete Zahlen zu verfügen. Mit dieser Datenlage kann anderen Problemen entgegengewirkt werden, etwa erfundenen Statistiken oder unseriösen Untersuchungen.
War hierfür in Kontakt mit StatistikerInnen, dem Bundeskanzleramt, Forschenden, und VertreterInnen aller anerkannten Religionsgemeinschaften. Letzteres gestaltete sich teilweise als recht einseitige Kommunikation. Begeistert sich sonst für Hunde, Luftakrobatik und Innenpolitik. Ab und an auf FM4 zu hören.