Die 23-jährige Yasmin Ahmed ist kein Flüchtling. Sie ist gebürtige Wienerin mit ägyptischen Wurzeln, und hat Publizistik studiert. Sie hat dunkelbraunes Haar, das man aber nicht sieht, denn Yasmin trägt Kopftuch. Seit 1867 herrscht in Österreich Religionsfreiheit, dennoch fühlt sich Yasmin diskriminiert. Die junge Muslima im Gespräch über Feminismus, Kopftuch, und den Kampf um Akzeptanz.
allah.wien: Wann hast du begonnen dich aktiv mit dem Islam auseinanderzusetzen?
Yasmin Ahmed:Ich bin mit dem Ganzen aufgewachsen. Anfangs habe ich mich nie wirklich damit beschäftigt, erst ab der 5.Klasse, als ich 15 wurde. Da beginnt man nachzudenken, zu hinterfragen: Warum mach ich das?
Was macht man als Kind schon alles mit; den Ramadan einhalten, beten?
Ja, ich schon, meine Schwester zum Beispiel nicht. Es war so, dass man als Kind einfach imitiert. Meine Eltern haben gebetet, also hab‘ ich auch zu beten angefangen, fünf Mal am Tag.
Yasmin erinnert sich, dass es ein langer, zwangloser Lernprozess war. Man rezitiert beim Gebet. Sie lacht und merkt an, dass es sich nicht nur um Turnübungen in arabischer Sprache handle, sondern durchaus eine tiefere Bedeutung innehabe.
In der Schule hast du am islamischen Religionsunterricht teilgenommen?
Ja, in der Volksschule, im Gymnasium dann genauso. Als ich mit dem islamischen Gymnasium angefangen hab, wars so: Ich fang mit einer islamischen Schule an, ich beginne jetzt Kopftuch zu tragen. Ich war damals zehn. Meine Eltern so: „Nein, du tust das nicht. Du bist zu jung dafür, du weißt nicht mal warum du‘s trägst.“ Da war ich dann so: Nein, ich mache das jetzt, ich trag das jetzt. Ich wollt‘ s einfach.
Als sie dann die Schule wechselte, nahm sie es auf Bitte ihrer Eltern ab.
„Du tust das jetzt runter. Weil, du fängst in einer neuen Schule an, du musst nicht auffallen, schauen dass du dich auf deine Sachen fokussierst.“
So ungerne sie es damals abnahm, so dankbar ist sie ihnen heute dafür.
Ich glaub‘ ich war damals wirklich nicht reif genug so einen Schritt zu wagen. Man sieht die Leute um sich herum, die zeigen Haare, also auch andere Muslimas. Man prahlt schon auch gerne mit den Haaren. Obwohl ich mich ehrlich gesagt mit dem Kopftuch hübscher finde.
Warum findest du dich mit Kopftuch hübscher?
Das ist das, was mir eigentlich auch am Kopftuch an sich gefällt: Man schaut mir ins Gesicht, man schaut mir in die Augen, man redet mit mir. Vor allem, das Kopftuch ist ja nicht nur eine Kopfbedeckung, sondern ein Lebensstil.
Richtig dauerhaft trägt Yasmin das Kopftuch mit 19 Jahren. In der Zeit dazwischen hat sie sich Strähnen gefärbt, die Haare aufgehellt, Frisuren ausprobiert. Sie beschreibt es als ein langes Hin und Her, Kopftuch ja oder nein.
Es ist ein Lebensstil. Bevor ich das Kopftuch getragen habe, war ich wie jeder andere Mensch. Also ich hab‘ normal geschimpft. Heute achte ich sehr auf meine Wortwahl. Respekt ist wichtig.
Respektieren dich auch andere Menschen dafür?
Yasmin verneint die Frage. Zum Thema Respekt käme es gar nicht erst, da sie aus Sicht ihrer Mitmenschen auf das „Ausländer-Sein“ reduziert würde. Da kannst du von vorn bis hinten Österreicherin sein, Stefanie heißen, du hast das Tuch an: Du bist Ausländerin. Hallo, sie heißt Stefanie. Ich heiße Yasmin. Egal: Du trägst Kopftuch und wirst abgestempelt. Du wirst beschimpft. Einfach so.
Von wem wirst du beschimpft?
Vor allem älteren Damen. Und da fängts immer so an: „Runter mit den Kopftiachln.“ Immer. Man sucht sich Einzelfälle, Frauen, die vielleicht dazu gezwungen wurden. Ich habe hier noch von niemandem gehört, der gezwungen wird es zu tragen. Hey, das ist eine Entscheidung. Das ist ein Stück Selbstbestimmung, die einem die Politik wieder nimmt. Sie wollen den Muslimas angeblich helfen, dabei ist es so, dass sie selbst eine Form der Unterdrückung forcieren, in dem sie uns nicht einmal fragen. Ich will denen meine Haare nicht zeigen.
Für Yasmin hat das Tragen ihres Kopftuchs weniger mit Tradition zu tun, als mit einer gewissen Sicherheit. Es soll sie beschützen.
Wovor soll das Kopftuch die Frau beschützen?
Jeder Mann, egal ob Muslim oder nicht, starrt. Und um das zu vermeiden, verdeckt eine Frau eines der Sachen, die sie eigentlich verschönern soll, und zwar die Haare. Damit der Mann sich auf andere Werte fokussiert, damit er ihr zuhört, sie wertschätzt. Vom Äußerlichen weggeht, aufs Innere.
Wie interpretierst du die Rolle der Frau in der Heiligen Schrift?
Vergiss, was in den Medien berichtet wird. Die Frau im Islam hat eine höhere Rolle. Sie ist eigentlich sogar höhergestellt als der Mann. Wenn man im Qur’an liest und richtig interpretiert, sieht man das. In den Botschaften des Propheten steht: „Das Paradies liegt unter den Füßen der Mütter“, nicht unter den Vätern. Da wird die Mutter hochgestellt. Man soll auf das Wohlergehen der Mutter mehr achten, als auf den Vater. Oder in einer Sure heißt es, dass die Frau mit dem Kopftuch ihre Brust bedecken soll. Man fragt sich: Wieso nur der Frau was vorschrieben? An anderer Stelle wird dem Mann aber vorgeschrieben, seine Blicke zu senken, aus Respekt.
Wie stehst du zur Bewegung und dem Begriff der Neomuslima?
Seit den 1990er Jahren etabliert sich als Gegendarstellung der unterdrückten, fundamentalistisch-antimodernen Muslima ein neues, emanzipiertes Pendant mit feministischem Fokus. Charakteristisch für Neomuslima sind eine qualifizierte Berufsausbildung, Selbstständigkeit, das Befolgen der islamischen Gebote. Für die meisten Neo-Muslimas ist es kein Widerspruch, muslimisch und emanzipiert zu sein, aktiv die Gesellschaft mit zu formen.
Ich finde den Begriff sehr fragwürdig. Ich tue einfach das, was vorgeschrieben ist. Was andere als neomuslimisch betrachten ist eigentlich das, was der Islam schon immer vorgeschrieben hat. Die „Wir-brauchen-keine-Männer-Fraktion“ ist mir noch lieber als die Feministen, die oben-ohne irgendwo reinstürmen. Weil sie zwingen uns, unser Kopftuch abzunehmen. „Nein, du musst das runtertun“. Nein ich will das nicht! „Aber, du weißt nicht was du da tust, du wurdest gehirngewaschen, du wirst unterdrückt“. Und ich dann so: Ich weiß, was ich da tue. Das kriegt man von den Feministen. Die älteren Frauen sind eher so, dass die das als Schande bezeichnen für Österreich, dass da sowas rumläuft wie ich. Sie sind traditionsbedingt so. Wenn sie aber eigentlich auf Traditionen zurückgreifen würden, würden sie merken: die meisten Omis tragen doch selbst Kopftücher.
Gibt es oft Situationen, in denen man dich auf das Kopftuch anspricht?
Ich schaue meistens auf den Boden, um blöden Kommentaren und Blicken zu entgehen. Und ich einfach keinen Bock hab zu streiten. Man hat schon Momente wo man sich schwach fühlt, wo man nicht rausgehen will. Einfach weil man das Gefühl hat, man wird beleidigt. Man fühlt sich nicht wohl hier. Das kommt schon sehr oft vor. Ich denke auch darüber nach, auszuwandern aus Österreich.
Wohin, das wäre Yasmin egal.
Hauptsache in irgendein Land, das nicht rassistisch ist, nicht diskriminiert, das mich sein lässt. Österreich ist schon rassistisch. Das wird nicht besser durch die Politik. Kopftuchverbot, Burkaverbot, was weiß ich.
Yasmin merkt auch bei Bewerbungen, dass man ihr skeptisch begegnet. Sie würde dennoch ihr Kopftuch nicht abnehmen, weil sie schon so lange überlegt hat, ob sie es tragen soll.
„Ab dem Zeitpunkt hab‘ ich mir gedacht: ich wird es nicht mehr abnehmen. Seit ich es will, mich hat keiner dazu gezwungen. Das ist aus reiner Überzeugung.“
Warum tragen manche Muslima kein Kopftuch?
Persönliche Entscheidung, oder Sie finden Kraft oder Mut nicht dazu, der Außenwelt entgegenzustehen. Da braucht man wirklich Kraft, es ist anstrengend.
Ich war mal auf dem Weg zu einer Freundin von mir, hab‘ auf die U-Bahn gewartet. Da kommt einer und sagt: „Alle Frauen haben schönes, blondes Haar, nur du nicht, du hast eine Glatze.“ Er hat sich neben mich gesetzt. Ich hab ihn gefragt: „Wie bitte?“
Yasmin meint, sie Leute seien dann immer überrascht dass sie antworte und Deutsch spreche.
Dann sagt er: „Du zeigst deine Haare nicht, du hast eine Glatze. Frauen, die schönes Haar haben, zeigen es her.“ Ich so: „Okay, Vielleicht will ich sie Ihnen nicht zeigen? Unter dem Kopftuch sind Haare und tschüss.“ Ich bin dann gegangen. Es ist meistens so absurd, was da gesagt wird. Und sowas gibt’s halt öfters. Manche wurden bespuckt. Freunde von mir. Einigen wurde das Kopftuch schon runtergerissen.
Warum denkst du, dass das Menschen tun? Spielt Islamophobe eine Rolle?
Ja. Das ist hauptsächlich durch negative Berichterstattung. Es ist wie eine Epidemie. Früher gabs das auch schon, heute vermehrt. Die Leute werden handgreiflicher, erlauben sich mehr. Es ist Hetzte, die eine Phobie verursacht. Wenn man das immer hört, dann übernimmt man das: Der Islam ist böse, Muslime sind böse. Wenn man niemanden kennt, der das richtig auslebt, dann glaubt man das. Lange war‘s für mich nicht vorstellbar, Österreich zu verlassen. Das ist mein Heimatland, ich bin hier großgeworden, spreche besser Deutsch als Arabisch. Aber in dieser negativen Atmosphäre, fühlt man sich nicht mehr wohl. Da geht es nicht nur mir als Muslima mit ausländischen Wurzeln so. Auch, Muslimas, wo die Mutter Sabine und der Vater Harald heißt kennen das. Leider, da will man weg. Dann wird man wieder gezwungen etwas zu tun, was man eigentlich nicht will. Das ist wieder eine Form von Unterdrückung. Im Moment sind die Frauen, die Kopftuch tragen die meist unterdrückte Spezies in Österreich.
Die 22-Jährige Miriam Mayrhofer ist in einem Dorf in Oberösterreich aufgewachsen. Sie ist nach Wien gezogen, hat Publizistik- und Kommunikationswissenschaften studiert, Rechtswissenschaften begonnen, und vertieft ihr Wissen zurzeit im Master-Studiengang „Journalismus und Neue Medien“ an der FH Wien der WKW.