Not in God’s name!

Eine düstere Sporthalle. Ein durchtrainierter Athlet, der sich die Hände bandagiert. Ruhig aber entschlossen platziert er seinen Zahnschutz im Mund. Den Blick direkt in die Kamera gerichtet:

„Im Ring musst du alles geben […]. Scheiß egal ob mir ein Jude, Muslim oder Christ gegenüber steht. Außerhalb des Rings da respektieren wir uns. Wenn die Prediger dir einreden, du kannst in Österreich nichts erreichen, […] dann sollst du wissen: Es gibt hier eine Gemeinschaft. Du hast hier einen Platz!“. (Karim Mabrouk im Counter-Narrative Video)

Kampfsport gegen Radikalisierung

Karim Mabrouk ist mehrfacher Staatsmeister, Intercontinental Champion und World Cup Sieger im K1 und Kickboxen. Seit 2015 ist er Mitbegründer und Testimonial (Botschafter) der Non-Profit-Organisation „Not in God’s name“, kurz NIGN. Im gerade beschriebenen Counter-Narrative (dt. „Gegen-Geschichten“) Video versucht er Kinder und Jugendliche auf sich und die Organisation aufmerksam zu machen. Nicht aber um dadurch Profit zu erzielen oder sich zu vermarkten, sondern um durch Kampfsport und anderen Projekten einer Radikalisierung entgegen zu wirken.

Im ersten Moment klingt dieser Plan paradox. Kann Kampfsport etwas gegen Radikalisierung ausrichten? Einige sind der Meinung, dass der Sport Gewalt und extreme Einstellungen eher fördert, wie die umstrittene Islamkritikerin Laila Mirzo: „Ich kann kein Problem lösen, indem ich Sport anbiete.“ Organisationen wie NIGN beschreibt sie als „ein netter Versuch, aber er werde dem Ernst der Lage nicht gerecht.“ Weiters ist sie der Meinung, dass Religionen wie der Islam nicht reformierbar sind. (Mirzo 2017, im Europamagazin des deutschen Senders DasErste)

Warum Sport Probleme löst

Alexander Karakas gründete die Organisation NIGN nach den Terroranschlägen 2015 in Paris. Damit beweist er das Gegenteil: Durch die präventive Arbeit seiner Organisation wird Kindern und Jugendlichen ein Ziel gegeben und versucht, sie von einer potentiellen Radikalisierung fern zu halten.

Mich bekommen sie nicht

Propaganda radikaler Gruppierungen können jeden beeinflussen. Am anfälligsten sind labile Menschen mit geringem Selbstwert und hoher Frustration. Ebenso die Altersgruppe zwischen 10 und 16 Jahren. Radikalisierte kommen entweder aus patriarchalischen Familienverhältnissen oder aus einem familiären Umfeld, indem jeglicher Zusammenhalt und/oder eine Vaterfigur fehlt. Das zeigt, wie wichtig die aktive Arbeit mit Jugendlichen ist.

NIGN-Testimonials: Karim Mabrouk (links) und Foad Sadeghi (rechts) ©nign.eu

Wer glaubt, dass Radikalisierung ein männliches Phänomen ist, irrt. Laut BMI (2016) gab es 280 Menschen die aus Österreich nach Syrien und Irak reisen wollten bzw. gereist sind, um sich den dort kämpfenden Gruppierungen (wie dem Islamischen Staat) anzuschließen. 221 Personen waren Männer und 59 Personen Frauen. Konkrete Zahlen für 2018/19 liegen noch nicht vor.

In dem Bericht wird bewusst zwischen erwachsenen und minderjährigen Frauen unterschieden. Motive sich zum Beispiel dem IS anzuschließen sind unterschiedlich. Minderjährige befinden sich in einer rebellischen Phase und möchten sich von ihrem Elternhaus lösen. Bei erwachsenen Frauen überwiegt der Wunsch nach einem „heroischen Kämpfer“ mit dem eine eigene Familie gegründet werden kann. Auch (junge) Männer lassen sich leicht von den Versprechungen des „Islamischen Staats (IS)“ beeinflussen. Dass sich diese Vorstellungen nicht mit der Realität decken, erkennen viele erst, wenn es bereits zu spät ist.

Vom berühmten Kampfsportler zum IS-Kämpfer

Einer von ihnen war der deutsche Doppel-Weltmeister im Thaiboxen, Valdet Gashi. In der Schweiz gründete er ein Kampfsportcenter indem strikt nach den Regeln und Gesetzen des Islams trainiert wurde. Anfang des Jahres 2015 reiste Gashi nach Syrien und schloss sich dort dem IS an. Wenige Monate später ist Gashi tot. Die genauen Todesumstände sind bis heute nicht geklärt. „Nach Angaben der SOHR (Syrian Observatory for Human Rights) sei Valdet GASHI bereits kurz nach seiner Ankunft von den barbarischen Praktiken des IS derart schockiert gewesen, dass er wieder nach Deutschland habe zurückkehren wollen“, so lautet ein Auszug des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg.

Ich bin ein Mensch!

NIGN setzt sich dafür ein, dass sich Geschichten wie diese nicht wiederholen. Alexander Karakas erklärt, wie in seiner Organisation gearbeitet wird: „Wir gehen mit erfolgreichen und österreichweit bekannten Kampfsportlern, wie Karim Mabrouk in Schulen, Shisha-Bars, Kampfsportgyms und Parks. Dort werden die Kampfsportler/Testimonials meistens gleich von den Kindern und Jugendlichen erkannt. Wir reden dann mit ihnen über Sport, Religion, Respekt, österreichischen Werte usw.“

Neben dem gerade beschriebenen „Proactive Streetwork“ bietet NIGN Workshops und Trainings (Vorbilder vor Ort) an. Letzteres ist bei den Jugendlichen besonders beliebt. Sie trainieren gemeinsam mit ihren Idolen. In den Workshops wird über Themen wie Gleichberechtigung von Mann und Frau, Gewalt-Verzicht, keine Religion ist besser als die andere und die Bedeutung von Zielen im Leben diskutiert. Beim letzten Workshop im Januar an einer Schule im 23. Wiener Gemeindebezirk fragt Alexander Karakas die Schüler, welche Angehörigkeit (Nationalität) sie haben bzw. als was sie sich fühlen. Die Antworten kommen wie aus der Pistole geschossen: Somalia, Iran, Österreich, Türkei! Ein 18-jähriger Schüler zögernd: „Ich bin ein Mensch!“

Er ist in Afghanistan geboren, vor dem Krieg geflüchtet und lebt nun in Österreich.

Karakas ist Unternehmer mit einem Doktorats-Abschluss in Politikwissenschaften. Er erklärt im Interview, dass die jungen Erwachsenen zu den Kampfsportlern aufschauen. Sie können sich mit ihnen identifizieren. Ihre Meinung ist glaubhafter als die von Politikern, Lehrern oder Eltern. Die Vorbilder aus der Community zeigen, dass es auch ohne Radikalisierung gehen kann – trotz sozialen Benachteiligungen und Migrationshintergrund. Machmal reicht es einen Funken Hoffnung zu geben oder eine Perspektive aufzuzeigen.

Workshop an einer Schule mit Alexander Karakas, Foad Sadeghi & Karim Mabrouk ©nign.eu

Staatliche Hilfe oft zu spät

Was können Staat und Politik gegen Radikalisierung tun? Prävention, Deradikalisierung und Strafverfolgung sind wichtig. Die Mühlen der Politik mahlen oft zu langsam. „Not in God’s name“ versucht vorbeugend zu wirken. Radikalisierung ist ein schleichender Prozess, den der Konfliktforscher und Psychologe Fathali Moghadam mit einem Treppenhaus vergleicht. Je höher die Stufe, desto extremer wird das Denken und Handeln. Wenn das Treppenhaus fünf Stufen hat, holt Karakas die Kinder und Jugendliche bereits im Keller aber spätestens auf den ersten beiden Stufen ab.

Die Nachfrage an Workshops und Sport mit „Vorbildern vor Ort“ ist groß. „Wenn das Budget reicht, geben wir Vollgas. In manchen Monaten gibt es täglich bis zu vier Workshops, an unterschiedlichen Schulen“, sagt Alexander Karakas. Die derzeit elf aktiven Testimonials werden für ihre Einsätze mit 25 Euro pro Stunde entschädigt (Vor- und Nachbereitung inklusive). Der interne Code of Conduct (dt. Verhaltenskodex) sieht vor, dass auf fünf bezahlte Einheiten, je eine ehrenamtliche folgen muss. Finanziert wird das Projekt in diesem Jahr vom Außen- und Integrationsministerium, sowie von der Stadt Wien.

Sport begeistert in jedem Fall

Für welchen Weg sich die Jugendlichen letztendlich entscheiden hängt von vielen Faktoren ab. Vorbilder wie Karim Mabrouk haben tatsächlich einen positiven Einfluss auf das Leben der jungen Erwachsenen. Der großen Verantwortung ist sich die Organisation „Not in God’s name“ bewusst.

Steckbrief „Not in God’s name“