“Mein Verstand wohnt in Wien, meine Seele in Tel Aviv“

Julia Zeilinger* geht im Alter von 19 Jahren nach Israel. Dort lernt sie fließend Hebräisch und konvertiert zum Judentum. In einem persönlichen Gespräch erzählt die heute 51-jährige Wienerin ihre Geschichte. Sie erzählt, warum sie auf ihre Religion stolz ist, sie von der Israelischen Kultusgemeinde in Wien wenig hält und wo Gott wohnt.

„Ich kann mich gar nicht erinnern, ob ich je an Gott geglaubt habe“

Das Christentum hat sie nie überzeugt, erzählt Julia Zeilinger. In der Familie spielte die Religion ebenfalls keine große Rolle. Dennoch besuchte die heute selbständige PR-Expertin eine katholische Privatschule in Wien. Zwölf Jahre lang. Immer wieder kommt es zu Konflikten mit den Klosterschwestern. „Das wird dem lieben Gott wohl egal sein, was ich anhabe“, antwortet sie einmal, als sie von den Schwestern wegen ihrer Kleidung zurechtgewiesen wird. Mit der Schuluniform nahm sie es nie so genau, ebenso wenig mit religiösen Ritualen.

Die „zweite“ Familie

Nach ihrem Schulabschluss geht sie 1989 als Au-Pair-Mädchen nach Israel. Eine Entscheidung, die ihr Leben grundlegend verändern wird.

In Tel Aviv wird sie von ihrer „zweiten“ Familie, wie sie sie nennt, sofort herzlich aufgenommen. Sie kümmert sich um die zehnjährige Tochter des fünfköpfigen Haushalts. Die beiden Söhne sind in ihrem Alter, der Vater ein hoher Angestellter einer großen Bank in Israel. Die Eltern nennt sie Ima und Aba (hebräisch für Mama und Papa). Nach einem Jahr spricht sie fließend Hebräisch. Ganz selbstverständlich wird sie in das religiöse Familienleben eingebunden. Die Familie steht dabei immer im Mittelpunkt und nicht die Geschenke. Das imponiert ihr. Zunehmend beginnt sie sich mit der jüdischen Religion und deren Bräuchen zu identifizieren. „Es ergab Sinn für mich. Es waren immer viele Kinder und viele Familienmitglieder bei den Festen. Es war einfach immer lustig, es gab immer Action“, erklärt Julia.

„Das Gefühl hat einfach gepasst“

Es beginnt ein langsamer, innerer Prozess. Ihr wird klar, dass Israel ihr Zuhause ist und sie nicht mehr nach Österreich zurückwill. „Das Gefühl hat einfach gepasst und da habe ich mich entschlossen zu konvertieren“, erklärt sie.

Symbolfoto Davidstern, Pixabay

Was folgt, ist ein einjähriger Religionskurs vom Rabbanut in Tel Aviv. Der Unterricht dauert jeweils zwei Stunden. Fünf Tage die Woche. Aber genau das schätzt sie am Judentum: „Man muss schon etwas tun dafür. In Israel macht man es den Leuten so schwer wie möglich zu konvertieren.“ Die „Mikwe“, das rituellen Tauchbad, besiegelt den Eintritt in die Glaubensgemeinschaft. Durch die Konvertierung im Staat Israel, hat sie auch die „Alija“, die Einwanderung, vollzogen. Seitdem besitzt sie einen Personalausweis mit dem Aufenthaltstitel „Permanent Resident“.

„Jetzt weiß man, wo Gott wohnt“

Als der Irak während des zweiten Golfkrieges die ersten Bomben auf Israel abfeuert, steht Julia als stille Zeugin auf einem Balkon in Tel Aviv. Ein Ereignis, das sie prägt. „Ich würde mich sofort für die Armee melden“, sagt sie. Nie hat sie daran gedacht, während des Krieges das Land zu verlassen. Insgesamt wurden ca. 40 Bomben auf Israel abgeworfen. Unmittelbar getötet wurden dabei nur zwei Personen. In Saudi-Arabien waren die Personen-Verluste hingegen weit höher. „Jetzt weiß man, wo Gott wohnt“, sagt Julia. Sie weiß, dass das überheblich klingt. Für sie sind es mitunter diese Erfahrungen, die sie von der jüdischen Bevölkerung in Wien unterscheidet. Das Problem sei sehr oft der fehlende persönliche Bezug. Das stört die 51-jährige auch an der Israelischen Kultusgemeinde. Julia hat in sehr vielen Gesprächen eine „antiisraelische Haltung“ erfahren, wie sie sagt. Als Patriotin kann sie das nicht verstehen. Es stört sie, wenn Menschen, die vor allem seit geraumer Zeit nicht in Israel waren, die Ereignisse im Land bewerten und kommentieren.

Den Kritikern rät sie, selbst nach Israel zu reisen und sich ein Bild zu machen. Dann würden viele anders denken, da ist sie sich sicher. Der „Red-Alert“, eine Handy-App, die Nutzer vor Raketeneinschläge in Israel warnt, erinnert sie jedes Mal daran.

„Ich träume in Englisch, Hebräisch und Deutsch“

Nach sechs Jahren kehrt Julia nach Wien zurück. Sie vermisst ihre „erste“ Familie. Für die war ihre religiöse Wandlung nie ein Problem.

In Wien fehlen ihr die gemeinsamen Abendessen mit der Familie und Freunden am Shabbat. Doch heilig ist er ihr trotzdem, gearbeitet wird samstags nie. Freitagabend zündet sie die Kerzen an und betet. Auf Hebräisch versteht sich. Nur in ihren Träumen können die Sprachen schon einmal durcheinanderkommen: „Ja ich träume in Englisch, Hebräisch und Deutsch.“ In die Synagoge in Wien geht sie nicht. Muss sie nach dem jüdischen Glauben auch nicht.

„Ich bin Jüdin, hast du ein Problem?“

Den Davidstern trägt sie als Halskette immer bei sich. Auch ein paar Schekel (israelische Währung) und ihr Personalausweis sind immer dabei. Probleme hatte sie deshalb in Wien noch nie. Antisemitismus ist für sie trotzdem ein Thema. Sie nimmt ihn in Gesprächen anderer Leute wahr. Da kann es dann schon passieren, dass sie sich einmischt, um ihren Glauben zu verteidigen. „Ich bin Jüdin, hast du ein Problem?“, sagt sie dann. Der Antisemitismus hat ihrer Einschätzung nach in den letzten Jahren nicht zugenommen, denn latent ist er immer da. Mit anderen Religionen hat sie keine Probleme. Glauben ist für sie Privatsache: „Ich würde nie jemand anderem meine Religion aufzwingen.“

Julias Liebe und enge Bindung zu ihrer „zweiten“ Familie haben nie abgenommen. Trotz der räumlichen Distanz. Einmal wöchentlich telefoniert sie und vier Mal im Jahr reist sie nach Israel.

„Ich glaube, dass er da oben mit mir nicht unzufrieden ist, denn bisher bin ich immer auf die Butterseite gefallen.“

Julia Zeilinger hat in Israel nicht nur ihren Glauben gefunden. Es ist weit mehr. Die bedingungslose Liebe zu diesem Land und seinen Menschen. All das bedingt einander. „Es ist ein großes Ganzes.“ Es ist ihre Geschichte.

Den Lebensabend möchte Julia in Tel Aviv verbringen. Bei ihrer Familie, in ihrem Land und mit ihrer Religion: „Seit ich konvertiert bin, bin ich stolz auf meine Religion. Das war ich vorher nicht.“

*Name wurde geändert