Ein Kommentar
Allah gehört zur österreichischen Schule. Die österreichischen Lehrpläne legitimieren nicht nur die Lehren Gottes, sondern räumen ihnen sogar einen hohen Stellenwert ein. Dieser Umstand könnte negative Folgen auf das Demokratieverständnis der österreichischen Bevölkerung haben.
Der Religionsunterricht ist von großer Bedeutung für die österreichischen Schulen. So ist Religion nach Deutsch, Mathematik, Englisch und Bewegung und Sport das Schulfach mit der fünfthöchsten Stundenanzahl, wenn alle österreichischen Sekundar-Schulformen berücksichtigt werden. Laut Lehrplan soll jede Schülerin zwei Stunden Religionsunterricht pro Woche haben. Im direkten Vergleich spielt das Schulfach Politische Bildung eine marginale Rolle. Im Durchschnitt sind für den Religionsunterricht doppelt so viele Schulstunden vorgesehen als für Unterrichtsfächer, die die politische Bildung umfassen. Zusätzlich wird politische Bildung nicht als eigenständiges Unterrichtsfach geführt, sondern je nach Schulform mit Geschichte, Recht, Wirtschaftskunde oder Sozialkunde kombiniert. Ein hausgemachtes Problem für ein Land, das vor religiösem Extremismus und dem „Kulturkampf im Klassenzimmer“ warnt.
Spannungsfeld politische Bildung und Religion
Dass Österreich Aufholbedarf in Sachen Demokratieverständnis hat, steht außer Frage. Die aktuelle Wertestudie zeigt, dass für die Österreicherinnen Religion mehr Bedeutung hat als Politik. Außerdem sind in Summe 26 Prozent dafür, dass Österreich einen starken Führer braucht, „der sich nicht um ein Parlament und Wahlen kümmern muss“. Demokratieverständnis geht anders.
Besonders heikel ist dieses Thema, wenn es um die muslimische Bevölkerung in Österreich geht. Diesbezüglich sprachen in letzter Zeit vermehrt Lehrerinnen aus Bezirken mit hohem Migrationsanteil von einem Kulturkampf im Klassenzimmer, wo Allahs Wort mehr zählt als das der Pädagoginnen.
Statistiken zur vergangenen türkischen Präsidentschaftswahl 2018 spiegeln die Problematik wider. 72 Prozent der Austrotürken wählten mit Recep Tayip Erdogan einen Politiker, der in der Vergangenheit kritische Medienhäuser stürmte, politische Gegner inhaftierte und eine Zeit der Re-Islamisierung einläutete. Dabei ist der hohe Stimmenanteil in Österreich bedenklich, da Erdogan landesweit nur 52,6 Prozent der Wählerstimmen lukrierte. Doch ist die Ursache dafür mit der Priorisierung des Religionsunterrichts gegenüber politischer Bildung verbunden?
Sebastian Kurz verknüpfte 2016 jedenfalls diese Faktoren, als er noch das Amt des Integrationsministers innehatte. Er forderte das Pflichtfach Politische Bildung um religiösem Extremismus entgegenzuwirken. Ein Vorhaben, das nie umgesetzt wurde. Damals wurden Kurz Pläne vom roten Bildungsministerium aufgrund von Budget-Engpässen blockiert. Doch auch seitdem Kurz Bundeskanzler ist und seine Liste das Bildungsministerium führt, ist das Thema Politische Bildung als Pflichtfach vom Tisch. Stattdessen wird weiterhin in jeder österreichischen Schule mindestens zwei Stunden Religion pro Woche unterrichtet. Ein Vermächtnis von Engelbert Dollfuß, einem höchstumstrittenen Staatsmann , der so lange die Räume des ÖVP-Parlamentsklubs zierte.
Die Kirche dirigiert, der Staat zahlt
Die Vormachtstellung des Religionsunterrichts ist tief in der österreichischen Verfassung verankert und geht auf ein etwa 85 Jahre altes Konkordat zurück. Unter dem damaligen Bundeskanzler Dollfuß und Unterrichtsminister Schuschnigg wurde 1933 ein verbindlicher Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich ausgehandelt. Dabei wurde ein Übereinkommen unterschrieben, das sich als einseitiger Milliardendeal entpuppte und die Kirche mit sehr viel Macht ausstattete. So obliegt es alleinig der Entscheidungskompetenz der Kirche, wer Religion in Österreichs Schulen unterrichten darf und wer nicht. Außerdem sind die Kirchenbehörden neben den Personalentscheidungen sowohl für die Stundenanzahl als auch der Wahl der Schulbücher des Religionsunterrichts zuständig. Andererseits sollen diese Ressourcen mit Steuergeldern finanziert werden.
Lehrpläne wurden von Kirchen erlassen
Auch der Entstehungsprozess des Lehrplans für Religion ist bemerkenswert. Was im Religionsunterricht in Österreichs Schulen gelehrt wird, wurde von den jeweils betroffenen Kirchen und Religionsgesellschaften verfasst und erlassen. Das ist in diesem Kontext einzigartig. Die gesetzlichen Lehrvorgaben für alle anderen Schulfächer wurden direkt vom Bildungsministerium erlassen.
In Anbetracht der währenden Signifikanz des Religionsunterrichts stellen sich viele Fragen. Was steht eigentlich in den Lehrplänen? Wie sehr hat sich der Religionsunterricht an moderne Zeiten angepasst? Wie unterscheiden sich die Lehrpläne verschiedener Konfessionen? Ist Religionsunterricht in Schulen überhaupt noch zeitgemäß?
Auffallende Parallelen und fragwürdige Thesen
Die islamischen, israelitischen und katholischen Lehrpläne sind sich einig: Gott ist der Schöpfer der Erde und des Kosmos. Dabei sollen sich die Schülerinnen selbst als Schöpfung Gottes sehen und dafür dankbar sein. Die abrahamitischen Religionsrichtungen haben seit jeher einen fragwürdigen Umgang mit dem Spannungsfeld Kreationismus und Evolution. Ein Paradigmenwechsel ist unwahrscheinlich; ansonsten würden sich die Religionsgemeinschaften selbst abschaffen. Auch wenn es um das Einüben von Riten und Gebeten geht, herrscht harmonische Einigkeit zwischen den verschiedenen Lehrplänen.
Sexualität als Vorfreude auf das Paradies
Sexualität wird im islamischen Religionsunterricht besonders konservativ behandelt. Laut dem Lehrplan sollen die Schülerinnen lernen, warum Liebe und Sex nur Ehepaaren, die sich aus Mann und Frau zusammensetzen, vorbehalten ist. Ferner wird Sexualität als eine gelebte Vorfreude auf das Paradies bezeichnet und auch so in den Schulen unterrichtet. Nicht zuletzt schreibt der Lehrplan vor, dass Männer Sexualität nicht öffentlich kommunizieren sollen, da sie ansonsten „vor Allah am Jüngsten Tag einen schlechten Stand haben“. Lehren wie diese erinnern an den viel diskutierten Wertekodex „Haram“, der all das umfasst, was die Scharia verbietet und als unheilig bewertet. Diverse Berichte zeigen wie weit verbreitet dieser Kodex unter jungen Österreichern islamischen Glaubens ist und klassifizieren diese als „Generation Haram“. Haram wird auch explizit in den islamischen Lehrplänen als eine der fünf Kategorien des Islams erwähnt. Jedoch werden keine konkreten Beispiele gelistet, was als Haram zu bewerten ist.
Die katholischen Lehrpläne fallen durch eine unerklärliche Selektivität je nach Schulform auf, wenn es um Sexualität geht. So wird sie einerseits in der AHS und NMS vollkommen ignoriert. Andererseits behandeln die übrigen Schulformen – wie beispielsweise die berufsbildenden höheren Schulen – die Thematik auf eine äußert progressive Weise, wenn man sich ins Gedächtnis ruft, dass die Inhalte von kirchlichen Vertretern produziert wurden. So ist die „Vielfalt sexueller Orientierungen“ ein zentrales Thema. Außerdem ist die Tatsache, dass sich die Schüler mit Genderaspekten, Frauenfeindlichkeit und Sexismus auseinandersetzen sollen, genauso verblüffend wie die Vorgabe „pro und contra“ von Ehe und Familie zu eruieren. So richtig modern und im krassen Gegensatz zu den jüngsten Falter-Enthüllungen, die von homophoben und christlich-fundamentalistischen Aufklärungskursen in Pflichtschulen berichteten.
Kompetenzorientierte Lehrpläne mit Weitblick
Im Allgemeinen geben die momentan gültigen Lehrpläne für den Religionsunterricht viel Begrüßenswertes wieder. Das liegt vor allem an den vielen Überarbeitungen der letzten Jahre. So wurden die katholischen Religionspläne dem kompetenzorientierten Unterricht entsprechend umformuliert, indem die religiösen Lernziele mit Verbkonstruktionen wie „erörtern“, „hinterfragen“ und „sich kritisch auseinandersetzen“ erweitert wurden. Eine Maßnahme, die den religiösen Lehren die Normativität entzieht.
Auch die Lehrpläne für den Islam-Unterricht diktieren in vielen Passagen erstrebenswerte Richtlinien: Andersdenkende und Ungläubige dürfen nicht „boykottiert“ werden. Islam und Radikalismus sind nicht vereinbar. Der Islam ist mit den Werten von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Pluralismus und Menschenrechten zu vereinen.
Eine ambivalente Beziehung zwischen Vorgabe und Implementierung
Die Diskussion, wie konstruktiv und pädagogisch wertvoll die Lehrpläne schlussendlich gestaltet sind, trägt zu einem gewissen Grade eine Redundanz mit sich. Am Ende kommt es immer auf die jeweilige Lehrkraft an und wie diese ihren Unterricht gestaltet. Der Lehrplan ist zwar eine gesetzliche Vorgabe, doch die Implementierung wird kaum überprüft. Ein weiteres Problem ist, dass schwammige Definitionen und Vorgaben sehr viel Interpretationsspielraum bieten. So könnte zum Beispiel das Lernziel „Sich mit Genderaspekten, Frauenfeindlichkeit und Sexismus auseinandersetzen“ progressiv und aufgeklärt unterrichtet werden, jedoch genauso die Existenz all dieser Konzepte verleugnen.
Politische Bildung jetzt
Nichtsdestotrotz sind die Privilegien, die die Kirchen und der Religionsunterricht bezüglich der staatlichen Lehrpläne genießen, fragwürdig. Vor allem die hohe Stundenanzahl, die den religiösen Lehren gewidmet wird, verlangt nach einem Reformbedarf. Außerdem sollten Themen wie zum Beispiel Sexualität nicht auf dem Verständnis der Kirche, sondern auf dem der österreichischen Verfassung beruhen. In einem Land, das ständig über Parallelgesellschaften und Kulturkonflikte diskutiert, sollten die Schülerinnen und Schüler nicht im Religionsunterricht separat, je nach Konfession, unterrichtet werden. Stattdessen sollte in Schulkassen gemeinsam im Zuge der politischen Bildung das Demokratieverständnis und das gesellschaftliche Miteinander erörtert, diskutiert und erarbeitet werden. Ein Forderung, die schon lange von Lehrkräften für Geschichte und Politische Bildung postuliert wird.
27 Jahre aus Oberösterreich.