Ex-Muslim Cahit Kaya im Interview: „Es ist ganz wichtig, sich Bedrohungen nicht gefallen zu lassen.“

Der gebürtige Alevit und Kurde Cahit Kaya spricht über die Vorteile ungläubig zu sein, gute Waffen gegen Drohungen und Rassismus unter Migranten. Cahit Kaya ist in einer alevitischen Familie aufgewachsen. Einen strengen Glauben gab es aber nie. Auch deshalb war es für ihn nicht schwer, sich von der Religion abzuwenden. Kaya begann über verschiedene Wege radikale Gläubige zu kritisieren und machte sich dadurch bei einigen Gruppen durchaus unbeliebt.

allah.wien: Aus welchen Gründen haben Sie sich von der Religion abgewandt?
Cahit Kaya: Aus Vernunftgründen, denn Religion ergibt für mich in den meisten Fällen einfach keinen Sinn. Aber ich verstehe schon, dass Menschen gläubig sind und es sein müssen. Es ist ja sogar rational erklärbar, wenn jemand auf diese Art gläubig ist. Er hat Angst vor dem Tod und mit der Religion entsteht die Hoffnung, dass danach etwas ist. Wenn es der Person hilft, ist das schön für sie. Wenn eine Person in eine Denkweise gebettet ist, die ihr Halt gibt und die ihre Psyche stabilisiert, sollte man sie da auch nicht rausreißen. Das gilt aber auch für Atheisten, die man nicht zum Glauben zwingen sollte. Denn das geht nicht. Wer den Halt verliert, wird eher gefährlich. Zum Problem werden nur die Fanatiker, die ihren Glauben per Zwang durchsetzen wollen.

Ex-Muslim Cahit Kaya
Cahit Kaya sieht Religionsfreiheit als wahre Freiheit

Sind Sie also ein radikaler Atheist?
Ich weiß nicht, ob man das so nennen kann. Ich stehe einfach dazu. Für manche ist das bereits radikal und wenn jemand ein Problem damit hat, dann ist das ihr Problem.

Haben Sie dennoch religiöse Freunde?Ich habe kein Problem mit religiösen Menschen, außer sie sind Fanatiker. Einige meiner Freunde sind Normalgläubige, die mich als Atheisten auch akzeptieren. Wenn das auf Gegenseitigkeit beruht, funktioniert das auch ganz gut.

Welche Vorteile hat es, nicht in einer religiösen Gemeinschaft zu sein?
In der Religion wird gesagt, was man glauben muss. Wenn man nicht daran glaubt, ist man der Böse. Es gibt keine freie Entscheidung zu sagen, ob etwas richtig oder falsch ist. Das wird immer von anderen entschieden. Man kann sich lediglich für eine andere religiöse Strömung entscheiden, die sich besser mit den eigenen Ansichten decken. Im Grunde ist das Willkür. Hier dichtet der religiöse Mensch seinem Gott Denkmuster an, die im Grunde die seinen sind. Als Atheist kann man dagegen selber entscheiden, was man zustimmt oder nicht. Man muss sich nicht verbiegen, um zu gefallen und den religiösen Normen zu entsprechen. Man kann eher sein, was man ist. Das bedeutet deutlich mehr Freiheit.

Sie behaupten, dass Rassismus unter Migranten ein großes Thema ist. Wie kann man sich das vorstellen?
Es findet sich immer ein Grund, also zum Beispiel die Religion oder die Ethnie. Dann bekämpfen sich verschiedene Migranten, aber oft nicht nur mit Worten. Viele Syrer, Iraner oder Afghanen, die in den letzten Jahren nach Österreich kamen, oder auch Türken und Kurden und auch Menschen vom Balkan, brachten das schon mit, denn der Hass aufeinander ist hoch. Das ist nichts, was in Österreich entstanden wäre. Besonders jetzt, wo Millionen Türken Erdogans Krieg gegen die Kurden bejubeln, werden auch in Österreich die Konflikte immer sichtbarer werden. Da ist Rassismus unter Österreichern oder von Österreichern Richtung Migranten nichts dagegen, denn hier geht normalerweise niemand aufeinander los, nur weil einer links und einer rechts wählt. Zumindest ist das sehr selten. Und wenn ein Österreicher Kritik übt, muss das nicht zwingend rassistisch sein. Denn sehr oft ist es nur ein genervt sein von diesen Problemen, welche einem aufgezwungen wurden und man sich damit beschäftigen muss, ohne darum gebeten zu haben.

Wie können diese Konflikte in Österreich gelöst werden?
Lange wollte niemand das Problem angehen oder beim Namen nennen. Aktuell sehen wir das ja an der Debatte um das Kopftuchverbot an Schulen. Frauen in der SPÖ, die sich als linke Feministinnen darstellen, haben kein Problem damit, wenn kleine Mädchen von fundamentalistischen Eltern zu einem Kopftuch gezwungen werden, nur weil ÖVP und FPÖ ein Verbot an Schulen fordern. Diejenigen, die sonst immer Sexismus schreien, sind blind, denn das Kopftuch zwingt nur Mädchen dazu. Also geht es hier ganz klar um das Geschlecht.
Durch die aktuelle Regierung wird sich in Zukunft hoffentlich noch einiges ändern. Darüber zu sprechen ist ein guter Anfang. Leider haben rote und grüne Parteien auf ganzer Linie versagt und ihre gegen Anti-Rechts-Kampagnen klammern rechtsradikale bis rechtsextreme Migrantengruppen komplett aus. Bei ihnen müssen FPÖ und ÖVP die Bösen sein und daher können es die Migranten nicht sein. Und wenn manche Migranten doch unter die Definition böse fallen, hofft man, dass das Thema schnell weggeschwiegen wird.

Sind also alle Migranten böse?
Die meisten Migranten nicht. Aber man sollte genauer hinsehen, um die Radikalen und Extremisten zu erkennen. So können die integrierten und integrationswilligen Migranten besser geschützt werden. Man zeigt ihnen auf, wer zu welcher Gruppe gehört und was diese jeweiligen Gruppen im Schilde führen und welcher schädlichen Ideologie sie anhängen. Nur so sorgt man dafür, dass “die Ausländer sind…” Vorwürfe ins Leere gehen.

Sind also Verbote ein gutes Mittel gegen Verallgemeinerung?
Ja, ich würde zum Beispiel, neben dem Kopftuch (aber nur an Schulen und öffentlichen Gebäuden), die radikalen Strömungen aller Religion oder Ideologien verbieten. Wenn man sie nicht verbieten kann, dann auf eine Liste der geächteten Gruppierungen setzen. Mit diesen Strömungen sollte dann nicht mehr verhandelt werden und sie sollten von den Medien ferngehalten werden. Dann würde zum Beispiel die islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich auf ein Fünftel schrumpfen, weil der Rest illegal ist. Der Rest besteht nämlich aus den rechtsextremen Grauen Wölfen, der ebenfalls türkisch-ultranationalistischen Milli-Görüs-Bewegung, die eher Islamisten anzieht. Und natürlich zur Atib. Sie ist Erdogans Spielzeug und Werkzeug, um die in Österreich lebende Türken unter Kontrolle zu halten, Kritiker bespitzeln zu lassen und Einfluss auf die österreichische Politik zu üben. Wenn man diese Gruppen als Besatzungsmächte und türkische Kolonien bezeichnet, ist das nicht einmal übertrieben.

Cahit Kaya polarisiert mit seinen Beiträgen auf Facebook

Gab es in der Vergangenheit Situationen, wo Sie aufgrund ihrer doch sehr klaren Äußerungen wirklich Angst hatten?
In Österreich gibt es viele Fanatiker, aber man kann sich einfacher vor ihnen schützen, als zum Beispiel in der Türkei. Bei Bedrohungen habe ich bei Bedarf die Polizei und den Verfassungsschutz eingeschaltet. Dort, wo Ehre und Stolz die höchsten Werte darstellen, sind auch diese beiden Begriffe die beste Waffe gegen solche Leute vorzugehen. Etwa wenn man die Täter in Begleitung von Beamten vor ihren Familien bloßstellt, wenn diese nach ernsthaften Drohungen dort auftauchen, hilft das. Die Schande ist groß, wenn man sich für ein sehr negativ aufgefallenes Familienmitglied rechtfertigen muss. In den meisten Fällen sorgt die Familie selbst dann dafür, dass die Drohungen schnell aufhören.

Viele hätten sich das aber nicht getraut…
Da ich auch unter Fanatikern aufgewachsen bin, weiß ich, wie man sie gut bekämpfen kann. Für viele ist es dann eine Schande, wenn sie von der Polizei mitgenommen werden und alle bekommen das mit. Es ist einfach ganz wichtig, sich die Bedrohungen nicht gefallen zu lassen. Das ist der größte Fehler. Mit genügend Menschenkenntnis und Wissen über die Communitys kann man gut abschätzen, welche Drohungen man ernstnehmen sollte. Andere sollen nur einschüchtern, um Andersdenkende physisch zu verletzen. Gewalt ist es aber in beiden Fällen.


Steckbrief: Cahit Kaya ist ein 39-jähriger Kurde, der in Türkei geboren und in Vorarlberg aufgewachsen ist. Seine islamkritische Haltung verbreitet er in Blogbeiträgen und via Postings auf seiner Facebook-Seite. Im Jahr 2010 war Kaya zudem ein Mitbegründer des österreichischen “Zentralrats der Ex-Muslime”.